Wie in den meisten Ex-Sowjet-Staaten so ist auch in Belarus das Stadtbild geprägt von mehrgeschossigen Häusern, die wir oftmals „Plattenbauten“ nennen. Jedoch gibt es hier kleine, aber feine Unterschiede – aber vor Allem tragen die verschiedenen Bauweisen ungewöhnliche Namen. So wurde ich darüber aufgeklärt, dass ich schon in der ein oder anderen Chruschtschowka und Breschnewka zu Besuch war.
Wie der Name unschwer erahnen lässt, wurden die Chruschtschowkas nach dem sowjetischen Politiker Nikita Chruschtschow benannt und in den 50er und 60er Jahren gebaut.
Es handelt sich um eine preisgünstige und schnelle Bauweise mit genormten Wohnungsgrößen und -zuschnitten.
Die minimalistischen Wohnblöcke bestehen aus max. 5 Etagen, haben keinen Fahrstuhl, sehr kleine Küchen und niedrige Deckenhöhen. Die übliche Wohnungsgröße für eine Familie mit 2 Kindern ist 45 qm.
Die Wohnung besteht aus dem winzig kleinen Bad, der Küche, einem Wohnzimmer und einem Schlafzimmer. Das Wohnzimmer fungiert als Durchgangszimmer, da man von dort aus in das Schlafzimmer gelangt. Sobald die Kinder das Teenager-Alter erreichen, schlafen die Eltern auf der Couch im Wohnzimmer und die Kinder schlafen gemeinsam im Schlafzimmer.
Die Breschnewka-Gebäude sind die besser ausgestatteten Varianten der Chruschtschowkas. Früher wurden sie auch Ulutschenko genannt – was übersetzt Verbesserung bedeutet. Sie sind meist 7-geschossig und werden aus Stahlbetonplatten gebaut. Die Zimmerdecke ist 2,70 hoch und alle Zimmer sind separat. Auch Toilette und Bad sind separiert, allerdings sehr klein. Die Gebäude sind mit Fahrstuhl und Müllschlucker ausgestattet.
Die sogenannten Panelka-Bauten haben 9 Stockwerke und überragen die anderen Bauten im Stadtbild. Sie werden aus halbfertigen Betonpanelen gebaut, sind sehr hellhörig und verfügen über einen Fahrstuhl und einen Müllschlucker im Treppenhaus. Die Zimmer sind größer geschnitten und mit dem Nachbarn teilt man sich üblicherweise einen kleinen Vorflur. Dieser Vorflur trennt die Wohnungen vom eigentlichen Treppenhaus ab. Zudem ist er praktisch, da man ihn sehr gut als Abstellfläche nutzen und Schuhe oder zum Beispiel einen Kinderwagen dort abstellen kann.
Bei allen Bauweisen einheitlich zu finden ist eine Hauseingangstüre, die über den zur Wohnung gehörenden Zahlencode zu öffnen ist. Will man jemanden besuchen, macht es Sinn, sich vorher nach dem Wohnungszahlencode zu erkundigen, das vereinfacht den Besuch sehr. Denn Namensschilder findet man am Hauseingang nicht, nur die Auflistung der Wohnungsnummern. Die Briefkästen der Wohnungen sind meistens zentral im ersten Zwischengeschoss des Treppenhauses an der Wand befestigt. Der Briefträger ist mit den jeweiligen Hausschlüsseln oder einem Transponder ausgestattet und muss dann zunächst eine kleine sportliche Strecke bis zum Einwerfen der Postsendungen zurücklegen.
Rolladen an den Fenstern sind nicht üblich. Verdunkelt werden die Zimmer entweder mit innenliegenden Rollos oder mit schweren bodenlangen Gardinen. Eine weitere Besonderheit betrifft die Versorgung mit warmem Wasser. Jedes Jahr ab Ende Mai wird stadtgebietsweise nacheinander das warme Wasser für jeweils 10 Tage abgestellt. Das Kanalsystem wird in der Zeit geprüft in Vorbereitung auf die nächste Frostsaison. Daher haben viele Familien ihre Wohnungen mit Boilern nachgerüstet. Gerade Familien mit Kindern, kranken oder pflegebedürftigen Angehörigen stellt diese „Kaltwasserperiode“ vor eine große Herausforderung. Dann muss in der Küche in verschiedenen großen Töpfen das Wasser erwärmt und ins Bad gebracht werden.
Viele Familien haben ihre Wohnungstüren nachgerüstet zwecks Lärmschutz und Wärmeisolierung. Und so wundert man sich oftmals, wenn man zwei unmittelbar hintereinanderliegende Wohnungstüren öffnen muss, um in die Wohnung zu gelangen.
Die Flächen vor den Wohnblocks sind einheitlich mit kleinen Grünstreifen versehen. Mal werden sie von den Bewohner*innen gepflegt und mit allerlei Deko gestaltet, mal werden sie einfach dem Wildwuchs überlassen. Vor den Hauseingängen findet man obligatorisch zwei sich gegenüberstehende Holzbänke, auf denen oftmals die Babuschkas anzutreffen sind – vertieft in ein Gespräch zu Klatsch und Tratsch aus der Nachbarschaft. Aber auch für alle anderen Altersklassen sind die Holzbänke ein beliebter Treffpunkt zum Verweilen. In den abendlichen Stunden findet man hier auch die ein oder andere kleine Gesellschaft, die dem Alkohol zugeneigt und die Flaschen kreisen lässt. Man kann diese Bänke daher zurecht als ziemlich beliebten Austausch-Punkt im direkten Wohnumfeld bezeichnen.
Zwischen den einzelnen Wohnblocks findet man immer wieder große Spielplätze. Viele sind schon sehr in die Jahre gekommen und scheinen noch aus der Chruschtschowka-Ära zu stammen. Aber in neuen Wohngebieten sieht das schon wieder anders aus.
Während meiner jetzigen Reise habe ich die Gelegenheit in einer echten Chruschtschowka zu wohnen. Wie in den meisten älteren Gebäuden kann man jedoch die Temperatur in der Wohnung nicht über einen Thermostatregler am Heizkörper steuern. Die Temperatur wird nämlich zentral gesteuert im Rahmen der staatlich regulierten Heizperiode, welche vom 15. Oktober bis 15. April andauert. Bei Unterschreitung bestimmter Minus-Werte kann diese auch ausgeweitet werden. Möchte man es in der Wohnung etwas kälter haben, so muss man die Fenster aufreißen – während die Heizkörper weiter laufen. Für uns völlig unverständlich und angesichts der knappen Ressourcen und teuren Gaspreise unvorstellbar.
Auch ich muss die Temperatur in meiner Wohnung auf diese Weise regulieren, denn es herrscht saunaähnliche Hitze.
Und so schaue ich aus dem geöffneten Fenster, blicke auf die am Hauseingang aufgestellten Holzbänke, lasse die Hitze aus meiner Wohnung auf die Straße entweichen und fühle mich schon ziemlich assimiliert im Wohnviertel.
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