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Nadja - Wiedersehen nach zwanzig Jahren


Als ich meiner Freundin Ellen von meiner anstehenden Reise nach Belarus berichtete, kamen gemeinsame Erinnerungen an die Zeiten der Gastkindererholungen hoch. Ihr Mann Heinz hatte erst kürzlich alte Unterlagen sortiert und war auf Fotos gestoßen aus der Zeit, als die kleine Nadja vor 20 Jahren bei der Familie zu Gast war. Nach und nach holten wir all die schönen Erinnerungen hervor, als die Kindergruppen nach Deutschland reisten und ein ganzer Monat angefüllt war mit verschiedensten Aktivitäten, Sightseeing und Kennenlernen der jeweils anderen Kultur. Natürlich war es auch herausfordernd, denn es gab noch kein Whatsapp oder Skype, keine digitale Übersetzungs-App. Man verständigte sich mit Mimik, Handzeichen und durch Blättern in Wörterbüchern und viel Verständnis füreinander. Heute denkt man: Wie konnte das klappen? Aber es hat geklappt – und zwar immer sehr gut und vor Allem mit viel Humor. Die Gastkinder mussten sich vollkommen auf die neue Umgebung einlassen, Kontakte zur Familie zu Hause waren nur über kostenintensive und daher seltene Telefonate möglich.

Ellen, Heinz und ich überlegten, was aus Nadja geworden ist. Wo wohnt sie? Welchen beruflichen Weg mag sie gegangen sein und ist sie mittlerweile selber Mutter? All diese Fragen beschäftigen uns und so versprach ich nach Nadja zu suchen. Ich kontaktierte unsere Helferin Alla in Mogiljow und schickte ihr die seinerzeitige Adresse von Nadja und die Kopie eines Zeitungsberichtes, der seinerzeit über Nadja und ihre Gastfamilie in der hiesigen lokalen Presse veröffentlicht worden war. Alla adressierte von Mogiljow aus einen Brief an die alte Adresse und fügte den Zeitungsartikel bei mit der Information, dass die seinerzeitige deutsche Gastfamilie zu Nadja Kontakt aufnehmen möchte. Und was soll ich sagen: Die Antwort der Eltern von Nadja, die noch immer unter der Adresse wohnen, kam prompt: Nadja lebe zwar mittlerweile in einer anderen Stadt, aber sie freue sich sehr über die „Suche“ nach ihr. Uns so vereinbarten wir, dass wir uns treffen, wenn ich in Belarus sein werde…

… und tatsächlich stehen wir jetzt hier in der Innenstadt von Mogiljow an einem Café und sehen uns das erste Mal wieder nach 20 Jahren. Nadja hat ihren Mann mitgebracht, er hat sich extra für das Treffen Urlaub genommen, und sie haben ihre kleine Tochter dabei. Bei einem Kaffee kommen wir miteinander ins Gespräch und ich frage Nadja nach ihren Erinnerungen an „damals in Deutschland“. Nadja stammt aus dem Dorf Pavlovichi (Rayon Kirow/Oblast Mogiljow). Nadja war 12 Jahre alt, als ihre Eltern sie fragten, ob sie mit einer Gastkindererholung nach Deutschland reisen möchte. Nadja erinnert sich, dass die Kindergruppe damals sehr groß war und sie mit einem Doppelstockbus nach Deutschland gereist sind. Nach der Ankunft und Begrüßung wurden die Kinder mit ihren Gastfamilien bekanntgemacht und man fuhr in das neue Zuhause auf Zeit. Und so lernte Nadja Ellen und Heinz mit ihren kleinen Töchtern Felizitas und Franziska kennen. Gemeinsam mit den beiden Mädchen teilte sich Nadja ein Zimmer und alle drei verstanden sich prima.

Nadja erinnert sich an viele schöne Ausflüge in den Zoo, nach Köln – hier beeindruckte sie besonders der Kölner Dom, aber auch schöne Spaziergänge, Rollschuhfahren, abendliche Brettspiele und eine Urlaubsreise ans Meer fallen ihr ein. Auch an „Opa Leo“ kann sie sich sehr gut erinnern, zu ihm hatte sie eine besonders innige Bindung. Oft fuhr man ihn mit dem Fahrrad besuchen. Nadja erinnert sich noch gut an eine Kamera, mit der man Fotos direkt ausdrucken konnte – diese Technik empfand sie damals als kleines Wunder. Zum Abschluss des Deutschland-Aufenthaltes wurde für die Gastkinder immer das traditionelle Fest am Liblarer See organisiert, an das sich Nadja noch sehr gut erinnert und wo die Kinder mit Booten über den See fahren konnten. Von der Familie erhielt Nadja ein besonderes Andenken: goldene Ohrringe – dieses Geschenk schätzt Nadja wirklich sehr. Angekommen mit einem kleinen Rucksack, trat Nadja dann nach einem Monat die Heimreise an – ausgestattet mit zwei prall gefüllten Taschen.

Nadja betont immer wieder, wie dankbar sie ihrer Gastfamilie ist für die Wärme und Gastfreundlichkeit, für die schönen Momente und Ausflüge. Der Abschied von der Familie war damals sehr emotional und mit vielen Tränen verbunden. Nach der Rückkehr bestand Briefkontakt, doch irgendwie habe man sich aus den Augen verloren. Nadja hatte mal eine Recherche über Facebook versucht – leider ohne Erfolg. Umso größer ist Freude, dass der Kontakt jetzt wieder angebahnt ist.

Nadja lebt jetzt in Babrujsk, gemeinsam mit ihrem Mann und der zweijährigen Tochter. Sie hat an einem College in Mogiljow IT studiert, später noch ein Fernstudium an der Uni absolviert und ist in einem Unternehmen als Computerfachfrau beschäftigt. Aktuell befindet sich Nadja im Erziehungsurlaub bis zum dritten Lebensjahr der Tochter. Die Familie wohnt in einem Arbeiterwohnheim, welches zu Nadjas Firma gehört, in der sie beschäftigt ist. Das Apartment ist klein mit einer Kochnische und eigenem Bad. Sie haben alles selbst renoviert, denn die Wohnung war in einem schlechten Zustand. Aktuell zahlen sie keine Miete (diese wird vom Arbeitgeber getragen), sondern lediglich die Nebenkosten. Da die Familie in die Kategorie der Bedürftigen fällt und sie bald schon 10 Jahre im Arbeiterwohnheim leben, haben sie Anspruch auf eine Wohnung zu günstigen Konditionen. In Belarus ist es üblich, dass Wohnungen gekauft werden, allerdings bei Neubauten immer im Rohbau. Hierfür nehmen die Familien Kredite auf und Nadjas Familie wird hierfür besondere Konditionen erhalten. Aber auch mit diesen Konditionen ist es für die Familie ein Kraftakt, die dann anstehenden Tilgungs- und Zinsraten zu bedienen. Trotzdem freuen sie sich schon sehr – in 6 Monaten wird es so weit sein.

Es gibt noch so viel zu berichten - aber das alles wird in der direkten Kommunikation zwischen Nadja und ihrer deutschen Familie mit Ellen, Heinz, Felizitas und Franziska laufen.

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