top of page

Maxim

Das eigene Kind zu verlieren ist wohl das schwerste Schicksal.


Maria (meine langjährige Freundin, Ehrenamtlerin vor Ort, Vorsitzende des Partnervereins MosaikaAktiv) und ich treffen uns heute mit Julia.

Julia ist ebenfalls Vorstandsmitglied von MosaikaAktiv, dem seit 2020 als gemeinnützig eingetragenen Verein in Mogiljow, der sich für Familien mit besonderen Kindern einsetzt und dem mittlerweile 58 Familien angeschlossen sind. Julia ist die Mutter des 13-jährigen Maxim, der seit seinem ersten Lebensjahr der besonderen Pflege und Fürsorge bedurfte. Maxim verstarb plötzlich und unerwartet am 05.08.2023.



Wir besuchen heute gemeinsam den Friedhof , daher kaufen Maria und ich in einem Blumenshop rote Nelken – 14 an der Zahl, denn so alt wäre Maxim am 22.08. geworden. Wir nehmen noch eine kleine Engelfigur mit und holen Julia ab.

An Julias Wohnsiedlung vorbei fahren wir zum Friedhof, der umgeben ist von Natur, welche sich auf dem Friedhofsgelände frei entfalten darf. Wir durchqueren die kleinen Pfade zwischen den eingezäunten Gräbern und gelangen schließlich zum Familiengrab von Julia. Hier ist auch ihr Vater beerdigt, der viel zu früh verstarb. Man kann sein auf einer Platte eingraviertes Portrait sehen. Auf den meisten Gräbern sind die Verstorbenen mit einem Portrait als Andenken verewigt. Links von Julias Vater ist das Grab von Maxim. Zuerst legt Julia ihre mitgebrachten Blumen ab, dann bringen Maria und ich unsere Nelken und den Engel zum Grab. Der Engel wird bei Maxims Lieblingsspielzeugen an einer speziellen Stelle auf dem Grab platziert. Keine noch so wohlgemeinten Worte können den Schmerz von Julia über den Verlust ihres geliebten Sohnes lindern. Und so schweigen wir, nehmen uns in den Arm und lassen unseren Tränen freien Lauf. Julia erwähnt, dass der Großvater Maxim im ersten Lebensjahr immer auf den Armen getragen hat, weil Maxim so viel weinte. Wir verabschieden uns von Maxim und finden den Gedanken tröstlich, dass Opa und Enkel nun beisammen sind und sich der Opa bestimmt um Maxim so kümmern wird wie nach seiner Geburt.

Jetzt fahren wir in Julias Wohnung, die sie vor ungefähr einem Jahr bezogen hat. Sie hat lange auf diese relativ barrierefreie Wohnung gewartet. Vorher wohnte sie in einem Wohnblock auf der 5. Etage ohne Fahrstuhl. Diese Umstände waren für die Familie sehr schwierig, denn Maxim konnte nicht selbständig laufen. Julia hat die neue Wohnung seinerzeit zusammen mit Ihrer Mutter und Maxim bezogen. Es ist eine schön eingerichtete 2-Zimmer-Wohnung, in der überall Erinnerungsfotos an Maxim stehen. Julia zeigt uns ihr Zimmer, in dem ein Bett, ein Schrank und ein kleiner Schreibtisch Platz haben. Im Zimmer steht noch Maxims-Reha Buggy und Julia erzählt, dass sie in dem Bett zusammen mit ihrem Sohn geschlafen hat. Der Schreibtisch ist ihr Arbeitsplatz für die ehrenamtliche Arbeit im Verein MosaikaAktiv und an der Wand hängt ein Regal gefüllt mit mehreren Vereins-Ordnern. Das zweite Zimmer hat die Familie aufgeteilt in einen kleinen Wohnzimmerbereich, der durch einen Raumteiler vom Schlafbereich von Julias Mutter Lidia abtrennt ist. Dieser besteht aus einem Bett und einer Kommode. Die Küche ist das Highlight in der Wohnung und dort haben Julia und Lidia für uns Kaffee und einen kleinen Imbiss vorbereitet. Wir finden zu viert am kleinen Küchentisch Platz und Julia betont, dass die angebotenen Tomaten und Gurken selbst angebaut wurden im Garten der Datscha.

In dieser familieneigenen Datscha ist Maxim verstorben in Julias Armen. Sie hatte schon im Frühjahr bemerkt, dass Maxims Zustand sich verändert hatte. Bisher konnten Mutter und Oma mit Maxim über die Augen und Mimik kommunizieren – auch konnte er lächeln und sogar manches Mal richtig lachen. Aber seit dem Frühjahr – nach einer Infektion (vermutlich Corona) - reagierte er nicht mehr in der gewohnten Weise. Im Sommer verbrachte Julia mit ihrem Sohn noch einen wunderbaren Erholungsurlaub im Rehazentrum Nadeshda, welchen wir Dank finanzieller Unterstützung von Stiftungen für mehrere Familien mit besonderen Kindern gebucht hatten. Hier konnte Maxim sogar in seinem Rehabuggy im Kletterwald an einer Seilkonstruktion durch die Baumwipfel schweben. Anschließend verbrachte die Familie traditionell die restlichen Sommertage auf der Datscha, denn dort wird wie bei den meisten Familien das Obst und Gemüse geerntet, verarbeitet und für den Winter eingekocht. Eigentlich deutete nichts darauf hin, dass sich Maxims Gesundheitszustand drastisch verschlechterte. Allerdings hatte er manchmal Herzrasen und etwas Luftnot. Doch plötzlich bemerkte sie, dass ihr Sohn blau anlief und wegen seiner stark ausgeprägten Skoliose vermutet Julia, dass er keine Luft mehr bekam. Die herbeigerufene Ambulanz konnte Maxim nicht mehr retten. Mit großem Schmerz musste die Familie von Maxim Abschied nehmen, denn er war in der Familie der absolute Liebling und Sonnenschein. Niemals wurde mit dem Schicksal gehadert, vielmehr hat die Familie gemeinsam versucht ihn nach besten Möglichkeiten zu versorgen und zu fördern. Maxim hinterlässt eine große Lücke.

Trotz ihres Kummers verfällt Julia nicht in Lethargie, sondern hat überlegt, wie sie sich beruflich weiterentwickeln kann. Denn sie muss schnellstmöglich wieder arbeiten gehen. Bisher war sie 24 Stunden am Tag mit der Pflege ihres Sohnes befasst und die Familie bezog eine ganz kleine Rente und Pflegegeld. Da Julia ausgebildete Krankenschwester ist, möchte sie eine Zusatzausbildung als Masseurin in asiatischen Techniken sowie Faszientherapie machen. Zudem möchte sie die Buccal-Massage erlernen, welche die Wangen und den Mundraum in den Focus nimmt. Diese Kenntnisse möchte sie dann nicht nur beruflich einsetzen, sondern auch ehrenamtlich für die Kinder des Vereins MosaikaAktiv anbieten. Als ich Julia berichte, dass ihre deutsche Patenfamilie die Kosten für diese Ausbildung übernehmen wird, ist sie zu Tränen gerührt und bedankt sich überschwänglich.


Julia mit Zertifikat des 1. Moduls der Ausbildung

Unsere Kontakte werden mit Sicherheit weiter fortbestehen und wir sind froh, dass Julia für sich eine Zukunftsperspektive sieht und ihr Engagement und ihre Kenntnisse ehrenamtlich zugunsten der Familien in Mogiljow einsetzen wird.


0 Kommentare

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen

Comments


bottom of page