
Was ist wohl aus den Kindern geworden, die im Rahmen unserer Gastkindererholungen die Sommerferienzeit in Deutschland verbrachten? Bis 2019 luden wir jedes Jahr eine Gruppe Kinder und Jugendlicher zur Erholung nach Deutschland ein und verbrachten gemeinsam die Zeit bei buntem Programm und Erholung. Da die Kinder in Gastfamilien untergebracht waren, würden diese auch gerne wissen, wie es „ihren“ Kindern heute geht.
Wir haben daher die Kontakte von Wlad, Maria und Wara recherchiert und bei allen Dreien nachbefragt, ob sie Lust und Zeit hätten sich mit mir und der seinerzeitigen Begleiterin der Kindergruppen, Tonia, zu treffen. Alle sind zu einem Treffen gerne bereit und wir alle sind gespannt, ob wir uns gegenseitig erkennen werden.

Mit WLAD sind wir etwas früher im Café verabredet, denn er muss pünktlich seinen Zug nach Hause nehmen. Am Treffpunkt begrüßt uns ein zurückhaltender junger Mann, in dessen Gesichtszügen wir den jungen Wlad von damals erkennen. Wlad stammt aus der Kleinstadt Cherikov, die zum von Tschernobyl betroffenen Gebiet zählt und 85 km südöstlich von Mogiljow liegt. Als wir Wlads Familie seinerzeit kennenlernten, war der Vater alleinerziehend mit 3 Kindern und Wald das älteste. Die Familie lebte in sehr bescheidenen Verhältnissen in einem Holzhaus und Wlads Vater war bei der örtlichen Kolchose beschäftigt. Wlad war als Kind ein echter Sonnenschein, ein Herzensfänger und erinnerte uns alle irgendwie an „Michel aus Lönneberga“. Für ihn war die Reise ein großes Abenteuer, denn er war bis dahin in seiner Heimat noch nie in einer größeren Stadt gewesen. Und die Fahrten nach Deutschland waren für ihn wie in eine andere Welt zu reisen. Ich habe ein altes Foto gefunden aus der Zeit, wo wir Wlad in seinem Heimatdorf besucht hatten. Wlad schaut erstaunt auf das Foto und meint, dass er sich selbst gar nicht erkennt. Auch an unseren Besuch bei ihm zu Hause kann er sich nicht erinnern. Regelmäßig bekam die Familie mittels unserer Hilfstranspote Pakete. Ein besonders Highlight war damals die neue Waschmaschine, die den Alltag des alleinerziehenden Vaters erleichterte.

Jetzt sitzt Wlad hier vor uns und man merkt ihm seine Nervosität an. Wir fragen ihn, ob er uns noch kennt, was er verneint. Aber das ist auch kein Wunder, denn Wlad war bei den Auslandsaufenthalten noch sehr jung. Ich richte ihm die Grüße seiner damaligen Gastfamilie aus, worüber er sich sichtlich freut.

Er erinnert sich sehr gerne an diese Zeit zurück, wobei Vieles in seiner Erinnerung verloren gegangen ist. Die Zahnarztbesuche sind ihm jedoch noch sehr präsent, und dass die Betäubung mit Lachgas beim ersten Versuch nicht funktionierte. Es war damals eine ziemliche Prozedur, denn die Zähne mussten umfangreich behandelt werden. Die Gastfamilie hatte sehr viel Geduld und unterstützte ihn, wo es nur ging. In den beiden eigenen Jungs der Gastfamilie fand er fröhliche Spielkameraden. Eindrücklich im Gedächtnis geblieben ist ihm eine Kletteraktion, wo er oben angekommen ziemlich Angst hatte und nicht mehr wusste, wie er herunterkommen sollte.
Wlad hatte es als Kind nicht einfach aufgrund seiner Lebensumstände, und Tonia und ich sind angenehm überrascht, welch ruhiger, zielstrebiger und netter junger Mann er geworden ist. Mit seinen achtzehn Jahren besucht er das letzte Halbjahr des Berufscolleges für Tischler/Schreinerhandwerk. Aktuell befindet er sich im Praxis-Abschnitt, welchen er im College absolviert. Dies hatte man ihm angeboten, da er der Beste seines Kurses ist. Er wohnt in einem Wohnheim gemeinsam mit zwei anderen Auszubildenden. Ob er nach der Ausbildung direkt mit der Arbeit beginnen wird oder sich an einer Hochschule noch mal fortbildet, weiß Wlad noch nicht so genau. Sein festes Ziel ist es auf eigenen Beinen zu stehen. Leider hat Wlad nur wenig Zeit für unser Treffen. Wir hatten einen kleinen Imbiss bestellt, den er aufgrund unserer Gespräche gar nicht aufessen konnte. Wir lassen das restliche Essen einpacken, damit es Wlad mitnehmen kann. Wir verabschieden uns und Wlad bittet uns nachzuhören, ob er mit seiner Gastfamilie über einen Messangerdienst Kontakt aufnehmen könne. Wir versprechen nachzufragen, wünschen Wlad viel Erfolg bei der anstehenden Ausbildungsprüfung und begrüßen die beiden nächsten Gäste, die jetzt zu uns stoßen.
Wara und Mascha waren auch mehrere Male zu Gast in Deutschland.
WARA ist jetzt 22 Jahre alt und ist uns allen noch in Erinnerung, weil sie als Kind in einer Folkloregruppe tanzte und während der Aufenthalte in Deutschland für die Gastfamiliengruppe kleine Auftritte präsentierte. So lernten nicht nur die Gastkinder neue Bräuche und Gepflogenheiten in Deutschland kennen, sondern auch wir konnten einen ersten Eindruck von den schönen traditionellen Kostümen, Liedern und Tänzen aus Belarus bekommen. Waras Gastvater Heinz, bzw. aufgrund des Altersunterschiedes zu Wara eher der Gastgroßvater, besuchte sie auch einmal zu Hause in Mogiljow. Diesen Besuch hat Wara noch gut in Erinnerung und als wir ihr mitteilen, dass Heinz vergangenes Jahr verstorben ist, steigen ihr Tränen in die Augen. Aufgrund der wiederholten Aufenthalte in der Gastfamilie (insgesamt 5 Mal) bestand eine enge Bindung.
Wara hat mit 16 Jahren die Schule abgeschlossen, an einem medizinischen College gelernt und arbeitet mittlerweile im Krankenhaus Nr. 1 als medizinische Fachkraft, sogenannte Feldscherin. Als solche führt sie allgemeine und klinische Voruntersuchungen durch und stellt Vordiagnosen. Überwiegend arbeitet sie im Labor. Neben der normalen Dienstzeit von montags bis freitags in der Zeit von 8-16 Uhr muss Wara monatlich zusätzlich 136 Stunden in der Klinik als Wochenend- oder Nachtdienste ableisten. Dies möchte sie nicht auf Dauer machen, daher hat sie jetzt ein Fernstudium als Logopädin begonnen. Seit mehreren Jahren wohnt Wara bei ihrer Großmutter in der Wohnung, die sich sonst alleine einsam fühlt. Wara hat einen schwerbehinderten Bruder und unterstützt ihre Eltern, wenn diese mal einen kleinen Urlaub brauchen. Dann zieht sie in die elterliche Wohnung und übernimmt die Sorge für Ihren Bruder.
MASCHA war als Kind auch mehrere Male in Deutschland bei einer Gastfamilie. Sie hat noch vieles aus dieser Zeit in Erinnerung und welch schöne Zeit mit Ausflügen und Gesellschaftsspielen die Gastfamilie ihr bereitet hat. Auch an den Familienhund kann sie sich noch gut erinnern. Jedoch meint sie, dass ihr letzter Aufenthalt für ihre Gasteltern nicht einfach war, denn sie war in der Pubertät und sehr verschlossen.
Mascha hatte eine sehr schwere Kindheit, denn ihrer Mutter wurde das Sorgerecht entzogen und Mascha lebte bei der Großmutter. Leider verstarb diese, als Mascha im Rahmen der Gastkindererholung in Deutschland war. Mascha zog dann zur Familie ihres Onkels, ist jedoch mit dem 17. Lebensjahr ausgezogen und lebt seither alleine in der Wohnung der verstorbenen Großmutter. Im April wird Mascha 21 Jahre alt. Sie hat eine Ausbildung an einer Schule des Ministeriums für Innendienst absolviert und wurde dort Inspektorin für Jugendfragen. Aktuell hat sie eine sogenannte akademische Pause eingelegt und arbeitet in einer Konditorei in der Stadt. Sie hat sich für den Führerschein angemeldet und möchte demnächst auch mit einem Fernstudium beginnen.
Unsere ehemaligen Gastkinder haben in ihrem jungen Alter schon so viel erreicht, wirken sehr reflektiert und haben ehrgeizige Pläne für ihre Zukunft. Vor allem bei Wlad und Mascha freut uns dies sehr, denn sie haben sich aus schwierigen Lebensumständen herausgekämpft. Allen Dreien wünschen wir nur das Beste für die Zukunft.
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