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Osaritschi


Belarus und Deutschland haben eine schwierige Vergangenheit, denn das Land Belarus litt am heftigsten unter dem zweiten Weltkrieg, der deutschen Besatzung, dem Naziterror und dessen schrecklichen Kriegsverbrechen. Im Rayon (Kreis) Kalinkawitschy liegt die Gedenkanlage für die Opfer der Todeslager von Osaritschi, welche wir heute besuchen.

Sinaida, eine der sieben Gedenkstättenmitarbeitenden, wartet auf uns vor dem Museumseingang, wo unser Rundgang durch die Gedenkanlage beginnen wird. Das Vernichtungslager Osaritschi und zwei weitere solcher Lager in unmittelbarer Umgebung wurden bis zum 12. März 1944 im Sumpfgebiet zur Frontnähe errichtet. Es handelte sich um umzäunte Areale ohne Gebäude oder sanitäre Einrichtungen und insgesamt deportierte die Wehrmacht 50.000 Menschen in diese drei Lager. Es handelte sich überwiegend um Frauen, kleine Kinder und ältere Menschen. Hintergrund dieser Aktion war die hoffnungslose militärische Lage der 9. Armee der Wehrmacht, die ihren Rückzug vorbereiten musste. Arbeitsfähige Zivilisten aus 146 Dörfern und Siedlungen rund um Osaritschi wurden zwangsrekrutiert und deren als arbeitsunfähig eingestufte Angehörige, die sich nicht mehr selbst versorgen konnten, sollten deportiert werden. Diese sollten in die drei Lager bei der Ortschaft Osaritschi, nördlich der Stadt Masyr, gebracht werden. An lagerartigen Sammelplätzen in den Ortschaften wurden die Menschen zusammengetrieben und dann mit Fahrzeugen oder zu Fuß, jeweils in Gruppen von 5.000 – 6.000 Menschen, zu den Lagern verbracht. Bereits auf dem Weg zum Lager starben mindestens 500 Menschen, vor allem Kinder, die nicht mehr laufen konnten und daher erschossen wurden.

Betritt man das Gedenkstättenmuseum, so ist dort eindrücklich die Szenerie des Lagers nachgestellt. Die Menschen waren dort ohne Schutz gegen das eisige März-Wetter, ohne eine Möglichkeit die Notdurft zu verrichten oder an sauberes Wasser zu gelangen der schneebedeckten sumpfigen Waldlandschaft ausgeliefert. In den zehn Tagen, die die Menschen in diesem Lager zubringen sollten, gab es lediglich für jeden einen Laib Brot. Dieser war aus Knochenmehl und Holzspänen hergestellt und so steinhart, dass man ihn nicht essen konnte. Besondere Freude machte es den Soldaten, wenn sie die Brote über den Zaun warfen und Kinder am Kopf trafen, die aufgrund der Verletzung starben. Feuer zu machen war verboten und schon allein der Versuch führte zu Erschießung durch die Wächter auf dem Wachturm. Die Gefangenen waren gezwungen auf dem eisigen Sumpfboden zu schlafen. Da auch Schwangere einkaserniert waren, wurden Kinder unter völlig schutzlosen Bedingungen im Lager geboren. Viele Frauen kümmerten sich um Kinder, deren Mütter nach Deutschland zur Zwangsarbeit geschickt worden waren. Notdürftig versuchten die Menschen mit Zweigen und Kleiderstücken winzige Unterschlupfmöglichkeiten zu bauen. Weil es kein sauberes Wasser gab, aßen die Menschen den Schnee, der jedoch nach fünf Tagen mit Fäkalien und Urin verschmutzt war. Auf die Lager waren absichtlich an Typhus Erkrankte verteilt worden, damit sich die Infektion schnell verbreiten sollte. Die Gefangenen wurden gezwungen Erdlöcher auszuheben, damit dort Massengräber errichtet werden konnten. Doch hierzu waren sie aufgrund der schrecklichen Bedingungen nach wenigen Tagen nicht mehr in der Lage und so lagen die Toten überall verteilt im Lager. Die Bedingungen im Lager waren so furchtbar, dass ein Überlebender es mit den Worten beschrieb: Die Lebenden haben die Toten beneidet.

Da die Deutschen den Vormarsch der russischen Armee um jeden Preis verhindern wollten, sollten die in den Lagern eingepferchten Menschen als menschliche Schutzschilde dienen. Man hatte den Plan, dass die russischen Soldaten sich bei der Befreiung der Lager mit dem dort absichtlich verbreiteten Typhusvirus anstecken und nach zwölf Tagen fallen werden wie die Blätter im Wind. Jedoch erfuhren die Russen von den Plänen und brachten Ärzte und Krankenschwestern mit, als sie 10 Tage nach Errichtung der Lager die Menschen befreien konnten. In den 10 Tagen starben tausende Menschen an Hunger, Erfrierungen, durch Erschießungen oder Typhus. Selbst nach dem Rückzug der deutschen Soldaten starben Unzählige, denn jenseits des Stacheldrahtzauns war das Gelände vermint worden. Von den 50.000 Lagerhäftlingen überlebten leider nur 33.000, davon 16.000 Kinder, deren Mütter als Zwangsarbeiterinnen nach Deutschland geschickt worden waren. 1946 wurde das Lager von Osaritschi vom Internationalen Strafgerichtshof als Konzentrationslager eingestuft, welches aufgrund seiner Unmenschlichkeit und Grausamkeit der Kategorie „A“ zuzuordnen ist.  

Im Gedenkstättenmuseum legen Fotos Zeugnis von diesen Gräueltaten ab, die seinerzeit in den Nürnberger Prozessen auch als Beweismaterial dienten. Überlebende haben es sich zur Aufgabe gemacht ihre Erinnerungen als Mahnung für die Zukunft zu hinterlassen. Zeitzeugengespräche an Schulen tragen dazu bei, die nachfolgenden Generationen vor einer Wiederholung solcher Taten zu bewahren.   

Betritt man das Außengelände der Gedenkstätte, so werden durch großformatige Bilder an Gedenksteinen sowie Statuen inmitten des Wald- und Sumpfgebietes die furchtbaren Bedingungen des Lagers deutlich. Bei unserem heutigen Besuch herrschen Minustemperaturen und wir können uns nicht vorstellen, wie man unter diesen Bedingungen hier nur einen einzigen Tag ohne Schutz vor Nässe und Kälte hätte überleben können.

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